Ende Mai wurde die Prekariatsstudie veröffentlicht, eine Untersuchung der FH Vorarlberg im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen Kunstschaffender. Das Ergebnis ist so erschreckend wie erwartet: Jede*r zweite Künstler*in in Vorarlberg ist armutsgefährdet. Die Handlungsempfehlungen der Studienautor*innen, basierend auf umfassenden Erhebungsmaterial und Vorschlägen aus der Szene, bieten konkrete To Dos, denn nach der Studie ist vor der Strategie! Nun sind die politischen Entscheidungsträger*innen am Zug und könnten gemäß Regierungsprogramm entsprechende Förderungs- und Budgetschritte setzen. Annette Raschner vom ORF Vorarlberg führte dazu ein Interview mit Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg.


Transkription des Interviews vom 06. Juni 2023 zwischen Annette Raschner, ORF Vorarlberg, und Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg. Nachzuhören bis Dienstag, 13. Juni, 20 Uhr.

Über 160 Seiten stark ist jene Studie1, die die Fachhochschule Vorarlberg im Auftrag des Landes zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen heimischer Kulturschaffender erhoben hat. Sie ist Teil eines Kulturstrategie-Update-Prozesses, der im September abgeschlossen sein soll. Die Ergebnisse der Studie haben es in sich, denn demnach ist jede zweite professionelle Künstlerin bzw. jeder zweite professionelle Künstler akut armutsgefährdet. Die Interessenvertretung fordert nun von der Politik ebenso rasche wie tiefgreifende Maßnahmen, für die von Fabian Rebitzer und seinem Team erstellte Studie selbst gibt es Lob. Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur:


„Der Methodenmix, den sie angewandt haben, bestehend aus qualitativen und quantitativen Befragungen, Online-Befragungen und Interviews zu den Einkommensverhältnissen, zur ökonomischen und privaten Situation von Künstlerinnen und Künstlern, inklusive der Desktop-Recherche, also weitgehende Recherchen bis in die Tiefe betrieben, was es schon gibt und alles miteinander verknüpft und in diesen dann doch komprimierten 160 Seiten vorzulegen, ist wirklich großartig.“


Zwei Jahre lang haben Studienleiter Fabian Rebitzer und sein Team geforscht und erhoben, online wurden knapp 200 Künstlerinnen und Künstler mit Vorarlberg-Bezug befragt, des weiteren wurden vertiefte Interviews mit 17 Kunstschaffenden und sieben Expertinnen und Experten aus der Szene geführt. Gefragt wurde nach den Einkommens- und Versicherungsverhältnissen in den letzten vier Jahren. Die Ergebnisse sind für Mirjam Steinbock schockierend:

Da gibt es schon mal kurz den Moment, wo ich sage, puh. Da muss ich kurz Luft holen – wir haben es in der Krise auch erlebt, ganz faktisch und mit vielen Einzelbeispielen. Aber das sind keine Einzelgeschichten, da ist wirklich ein Gros betroffen mit der Hälfte aller Kunstakteur*innen hier im Land, die armutsgefährdet sind.“

Die befragten Künstlerinnen und Künstler sind in allen Sparten tätig, sie haben im Durchschnitt über zwanzig Jahre Berufserfahrung und sie sind zu 70% Akademikerinnen und Akademiker. Zwei Drittel müssten aber zusätzlich einer anderen Arbeit nachgehen, um überleben zu können, und selbst dann liegt das Jahresnettoeinkommen im Median bei kargen 15.000 Euro. Überrascht sie sie angesichts dieser Zahlen aber nicht, sagt Mirjam Steinbock: 

„Es liegen andere Studien vor, Österreich hat zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstlern zwei Studien vorgelegt, 20082 und 20183, und die Zahlen sind ja ähnlich wie hier. Und das sollte die Landesregierung auch nicht erstaunen, weil sie das im Regierungsprogramm 2019 bis 2024 schon festgestellt haben, da wurde ja schon vom Prekariat der Kunst- und Kulturakteur*innen gesprochen, überhaupt der ganzen Szene, nicht nur der Künstlerinnen und Künstler, die in dieser Studie befragt wurden, sondern aller. Jetzt haben wir 2023, nächstes Jahr sind Wahlen, also das Regierungsprogramm läuft aus und es dauert jetzt eine Weile bis die Ergebnisse verarbeitet werden, bis sie strategisch umgesetzt werden oder zumindest es einmal eine Strategie als Vorschlag gibt, die es ja noch nicht gibt. Also es wird eine Zeit dauern und dann muss das auf Weg.“

Bis September soll eine Strategie vorliegen. Die in der Studie angeführten Handlungsempfehlungen sollten sich die Entscheidungsträger im Land genauer ansehen, sagt Mirjam Steinbock.

„Da geht es um Räume, es geht um Wertschätzung in der Sprache, es geht um Vernetzungsmöglichkeiten, es geht um transparente und nachvollziehbare Fördersituationen, also auch die Arbeit in den Kunstkommissionen, die Einreichung, dass das niederschwellig und zugänglich ist bis hin zum Kunst- und Kulturbudget, denn die Studienautor*innen sagen ganz richtig, unter den bestehenden Voraussetzungen und Ressourcen – und wir haben eine große Einschränkung im Kulturbudget erlebt trotz der Teuerungen und der hohen Energiepreise und Materialkosten in diesem Jahr – und sie (Anm.: die Studienautor*innen) sagen, wenn die Ressourcen gleich bleiben, dann können wir uns nur entscheiden zwischen Breitenförderung und Exzellenzförderung.“

Im Regierungsprogramm stehe aber, dass die Vielfalt gesichert werden soll und dass für entsprechende Rahmenbedingungen gesorgt werde:

„Also kommen wir einfach nicht darum herum, es braucht auch die Fair Pay-Strategie, die ja Teil des Strategie-Updates werden wird, das geht ohne Fair Pay nicht, weil das ist ein maßgeblicher Teil der Prekariatsbekämpfung ist.“

Die Pandemie habe die Situation zusätzlich verschärft, sagt Mirjam Steinbock. Viele Kunstschaffenden hätten ihre privaten Ersparnisse aufgebraucht. Insgesamt müsse immer wieder festgehalten werden, dass die künstlerische Produktion nun einmal anderen Regeln unterworfen sei und deshalb öffentlich gefördert werden müsse. Steinbock kommt auch auf das Problem mit dem Künstlersozialversicherungsfonds zu sprechen: 

„Die Einnahmen müssen tatsächlich aus künstlerischen Tätigkeiten kommen, können nicht aus kunstnahen oder kunstfernen Einkommen generiert werden, diese spielen da nicht mit rein, was widersprüchlich ist, weil es der Arbeitsrealität einfach nicht entspricht, denn kaum eine Künstlerin, ein Künstler kann davon leben. Sie sind davon abhängig, auch andere Tätigkeiten aufzunehmen.“

Der Vorschlag von Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink, sich etwa längere Arbeitsstipendien vorstellen zu können, sei ja grundsätzlich gut, sagt Steinbock. Aber:

„Das herauszustreichen und zu sagen, das machen wir jetzt ganz kurzfristig – ja, sei´s drum- Nur, um wirklich dem Prekariat entgegenzuwirken, brauchen wir greifendere Maßnahmen und eine Komposition an Maßnahmen, ein Zusammenwirken und auch eine schrittweise Veränderung der Fördersysteme, sonst geht sich das nicht aus. Wenn man sagt, ok, das können wir gleich umsetzen, nun gut, das ist ein kurzer politischer Erfolg, das Land möchte auch etwas vorlegen, das ist verständlich und doch braucht es eine Strategie und ich hoffe, dass sich das Strategieteam lang und sehr intensiv auseinandersetzt und prüft – das steht auch in den Handlungsempfehlungen, sich kritisch mit den Beispielen und den Vorschlägen aus den Fokusgruppen, aus den Interviews, aus den Befragungen, aus den Expert*innen-Umfragen auseinanderzusetzen und sich dessen anzunehmen.“


Fragwürdig ist für die Geschäftsführerin der IG Kultur allerdings die Besetzung der Strategiegruppe:

„Eva Häfele (Soziologin) ist dort mit drin, Claudia Voit, auch eine Expertin aus dem Bereich Kunst und der Verwaltung, Winfried Nußbaummüller natürlich als Leiter der Kulturabteilung und Susanne Fink, die seine Stellvertreterin ist, und Edgar Eller, der aus dem Tourismus kommt. Da frage ich mich, wo sind die Kunst- und Kulturakteur*innen, die Beteiligten, diejenigen, die prekär gearbeitet haben, es tun und nochmal eine ganz wichtige Perspektive mit hineingeben. Also das würde ich zu bedenken geben, wie man solche Teams besetzt.“

Grundsätzlich, sagt Mirjam Steinbock, geht es um den politischen Willen, auch, um visionäre Vorschläge umzusetzen.

„Da gibt es ja auch schon Modelle. Der Kunsttheoretiker und Philosoph Michael Hirsch gibt einiges vor. Er hat eine großartige Publikation vorgelegt, die heißt „Kulturarbeit“4, und dort spricht er von progressiver Desillusionierung und professionellen Amateuren. Er schlägt eine Utopie vor und macht das ganz deutlich sichtbar anhand eines Esels, der ein Konstrukt trägt und vor ihm eben die Möhre. Er erreicht sie nicht und er (Hirsch) vergleicht das mit dem Kulturbereich und sagt, 6% schaffen es von allen, um wirklich etabliert zu sein und davon leben zu können. Und was ist mit den anderen 94 %, die schaffen´s dann nicht, was ist dann mit denen? Die rennen der Möhre nach. Es gibt aber eine Utopie, andere Modelle zu schaffen und sich davon zu lösen, auch von den Machtstrukturen. Das verlangt natürlich, dass man sich zusammentut und die Modelle durchspielt. Das ist auch an Auftrag an uns als Interessensvertretung und als Vernetzungsstellen.“


1: vgl. Lebens- und Einkommensverhältnisse Kunstschaffender in Vorarlberg, FHV, Mai 2023

2: vgl. Schelepa, Susanne / Wetzel, Petra / Wohlfahrt, Gerhard unter Mitarbeit von Anna Mostetschnig (2008): Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich. Endbericht, L&R Sozialforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, Wien

3: vgl. Soziale Lage der Kunstschaffenden und Kunst und Kulturvermittler/innen in Österreich, Ein Update der Studie ‚Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich‘ 2008, L&R Sozialforschung, 2018

4: siehe https://www.textem-verlag.de/textem/theorie/kleiner-stimmungsatlas/497

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