Was erwartet den zeitgenössischen Kunst- und Kultursektor unter Türkis-Grün? Wir haben das Regierungsprogramm im Detail analysiert – mit Fokus auf das Kunst- und Kulturkapitel, aber auch andere für die zeitgenössische Kulturarbeit relevante Kapiteln des Regierungsprogramms. Hier unsere Erstanalyse im Detail – weitere Aspekte folgen in den kommenden Tagen. 

Kunst- und Kulturbudget

Das Regierungsprogramm schweigt zum Kunst- und Kulturbudget. Etliche der im Regierungsprogramm angekündigten Maßnahmen, wie etwa ein „Konjunkturpaket für Kultur- und Gedenkstätten“ (u.a. Ausbau der kulturellen Infrastruktur in den Bundesländern sowie deren Renovierung/Sanierung), der Ausbau von Förderprogrammen zur Kulturvermittlung, die Einführung neuer Schwerpunkte in der Kulturförderung und nicht zuletzt die Umsetzung einer Strategie für FAIR PAY, werden sich im Kunst- und Kulturbudget niederschlagen. Ohne eine Erhöhung des Budgets ist zu befürchten, dass eine Umverteilung der Fördermittel zu Lasten der zeitgenössischen Kunst- und Kulturarbeit gehen wird. Mit Ex-Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) als zukünftigem Finanzminister wird die Entwicklung des Kunst- und Kulturbudgets wesentlich von seiner Gunst abhängen. 

Transparenz in Kulturförderung und Vergabeprozessen 

Wie fast alle Vorgängerregierungen, verspricht auch Türkis-Grün mehr Transparenz und ein verbessertes Förderwesen im Kulturbereich. Konkret sollen die Förderabwicklung weiter digitalisiert und vereinfacht (Förderungen nach „One-Stop-Shop-Prinzip“) sowie Entscheidung und Förderabwicklung transparent werden. Was darunter konkret zu verstehen ist, ob es zukünftig etwa sachlich nachvollziehbare, schriftliche Begründungen von Förderentscheidungen, insbesondere bei Ablehnungen und Abweichungen von der beantragten Fördersumme, geben wird – bleibt offen. Von Interesse wird in diesem Zusammenhang die geplante Abschaffung des Amtsgeheimnisses und das Recht auf Informationszugang. Fallen soll jedenfalls die Praxis, Förderentscheidungen des Bundes an Entscheidungen anderer Gebietskörperschaften zu koppeln („Keine Verpflichtung zur ‚wenn, dann-Förderung‘: ‚Wenn Land, dann…‘“). 

Auch hält das Regierungsprogramm fest, was selbstverständlich sein sollte, jedoch nicht immer war: die „Besetzung von Beiräten und Jurys (Compliance) ausschließlich nach sachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage von transparenten Auswahlverfahren“, unter – dies ist jedoch neu – stärkerer „Berücksichtigung der Internationalität und Forcierung der Diversität“.  

Weniger Bürokratie, mehr Effizienz und Planbarkeit 

Vage bleibt es im Hinblick auf die Forderung, den bürokratischen Aufwand für Einreicher*innen zu reduzieren und in Relation zur beantragten Fördersumme zu setzen. Das angekündigte One-Stop-Shop-Prinzip bei Förderungen („Nutzung von Synergien mit Förderabteilungen in den Bundesländern“) sowie die Verbesserung der Koordination zwischen Bund/Ländern/Gemeinden lassen sich in diese Richtung interpretieren. Ein Ausbau der Mehrjahresförderungen für Kultureinrichtungen mit Jahresbetrieb ist nicht vorgesehen bzw. angesprochen. Dafür jedoch wird eine „mögliche jährliche Valorisierung der Kunst- und Kulturförderung (u.a. der Personalkosten) in mehrjährigen Verträgen“ in Aussicht gestellt. Eine konkrete Zusage ist dies natürlich nicht.   

FAIR PAY – Mindeststandards der fairen Entlohnung für Kulturarbeit

Erstmals findet unsere Forderung nach FAIR PAY (Einhaltung von Mindeststandards der Entlohnung für Kulturarbeit in öffentlich geförderten Projekten sowie die dafür erforderliche Aufstockung der Förderbudgets) Eingang in ein Regierungsprogramm, konkret durch die „Entwicklung einer gemeinsamen Strategie von Bund, Ländern und Gemeinden zur Umsetzung der Kulturstrategie ‚Fairpay‘“. Ein Meilenstein: erstmals wird auf Bundesebene überhaupt FAIR PAY als Thema gesetzt und anerkannt, auch wenn die tatsächliche Ausgestaltung im Rahmen der zu entwickelnden Strategie erwartungsgemäß offen bleibt. Wir werden uns jedenfalls hier weiterhin intensiv einbringen. 

Soziale Absicherung für in Kunst und Kultur Tätige 

Die desaströse soziale Lage der großen Mehrheit der in Kunst und Kultur Tätigen ist hinlänglich bekannt. Im letzten Regierungsprogramm wurde die soziale Lage totgeschwiegen. Das aktuelle Programm hält bereits in der Präambel zum Kulturkapitel fest, dass „bestmögliche Rahmenbedingungen für die in der Kunst und Kultur Tätigen sowie für die vielfältigen kulturellen Einrichtungen – von der freien Szene bis zu großen Kulturinstitutionen“, inklusive „soziale Unterstützung“ für Künstler*innen geschaffen werden sollen. Konkretes Vorhaben ist die „Weiterentwicklung der sozialen Absicherung der in Kunst und Kultur Tätigen im Bereich der Pensionsansprüche (Maßnahmen gegen die Altersarmut) und der Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenversicherung), vergleichbar mit der Selbständigen-Regelung.“ So unkonkret dies auch ist, so sehr markiert es eine Trendwende im Vergleich zum letzten Regierungsprogramm, welches Kulturförderung „als Sprungbrett zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit“ wollte. Erfreulich ferner, dass hier grundsätzlich nicht nur von Künster*innen die Rede ist, sondern von in Kunst und Kultur Tätigen allgemein – sowie an anderer Stelle (ein Novum) erstmals auch explizit „Kulturarbeiterinnen“ genannt werden. Zusätzlich wollen ÖVP und Grüne auch die Dotierung des Künstlersozialversicherungsfonds sicherstellen und dessen Förderkriterien und Bezieher*innenkreis weiterentwickeln. Dies bietet die Chance, dass zukünftig nicht nur jene, die unter einen eng ausgelegten Begriff der/die Künstler*in fallen, sondern auch Kulturarbeiter*innen Zugang zum Kultursozialversicherungsfonds erhalten könnten, deren Arbeitsrealitäten vielfach ebenso prekär wir jene der Künstler*innen sind.  

Rechtssicherheit und Anerkennung gemeinnütziger Kulturarbeit

Diffamierung und Einschüchterungsversuche gegenüber zivilgesellschaftlichen (Kultur-)Organisationen wurden unter Türkis-Blau wieder salonfähig. Erwartungsgemäß soll sich dies unter grüner Regierungsbeteiligung wieder ändern. Ausdruck findet dies in der Festschreibung der Wertschätzung und Anerkennung „der Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements und dessen Organisationen für die Demokratie“ sowie dem Bekenntnis, „einen aktiven Dialog und respektvollen Umgang mit NGOs fördern“ zu wollen. 

Für die Praxis relevant ist, dass rechtliche Graubereiche, die bislang Auslegungssache der jeweiligen Stellen waren, angegangen werden sollen. Konkret aufgegriffen wird etwa die Problematik, dass freiwilliges Engagement in gemeinnützigen Kulturvereinen bei Prüfungen teils nachträglich als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit eingestuft wurde. Hier ist eine „Überprüfung der Abgrenzung von Ehrenamt und Freiwilligenarbeit von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“ geplant. Ferner werden die „Schaffung einer Servicestelle Ehrenamt“, die „Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts und steuerrechtlicher Rahmenbedingungen für Gemeinnützige“ und allgemein eine „Verbesserung der Rechtssicherheit und Planbarkeit bei Erbringung gemeinwohlorientierter Leistungen (bei Förderungen)“ angekündigt. Ob damit endlich auch die Möglichkeit geschaffen wird, eine rechtsverbindliche Bestätigung des Vorliegens der Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit zu erhalten („Gemeinnützigskeitsbescheid“), bleibt – wie so vieles anderes – offen. Dass Gemeinnützigkeit, ehrenamtlichem Engagement und Zivilgesellschaft ein eigenes Unterkapitel gewidmet wird, ist positiv zu werten. 

Steueranreize und private Kulturfinanzierung

Das Thema Steuern wird an mehreren Stellen aufgegriffen, freilich ohne zu präzise zu werden. So ist eine „Überprüfung steuerlicher Entlastung im Kunst- und Kulturbereich“ angekündigt, die etwa (wieder) zu einer Senkung der Mehrwertsteuersatzes für künstlerische Leistungen führen könnte – ohne diese jedoch konkret zu nennen. Ebenso soll ein „strukturelles Anreizmodell für privates finanzielles Engagement“weiterentwickelt werden („Kriterien definieren, steuerliche Absetzmöglichkeiten prüfen“). Hier besteht erheblicher Interpretationsspielraum – das kann sowohl in Richtung einer Privatisierung bzw. Forcierung privater Kulturförderung durch Mäzen*innen interpretiert werden, als auch in Richtung einer Beendigung der rechtlichen Diskriminierung gemeinnütziger Kulturvereine bei der Spendenabsetzbarkeit (siehe hier Problemaufriss). Im Kapitel „Steuern“ wird jedenfalls eine „Prüfung der Ausweitung der Spendenabsetzbarkeit auf weitere gemeinnützige Organisationen“ versprochen. Auch hier werden wir uns weiterhin intensiv einbringen, um die Berücksichtigung der Anliegen kleiner Kulturvereine sicherzustellen. 

Partizipation in Kunst und Kultur 

Ansätze, den Zugang zu Kunst und Kultur für alle zu ermöglichen, muss man sich in diesem Regierungsprogramm erst zusammensuchen. Einen erkennbaren, expliziten Schwerpunkt stellt es nicht dar. Dennoch finden sich Bezüge, etwa im Bereich Bildung, wenn es heißt, „die musisch-kreative Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen muss in allen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen weiter forciert werden: für Kunstschaffende und ein Publikum von morgen – und kreative Menschen in einer digitalisierten Welt“. Konkreter wird es hinsichtlich der Musikschulen, die zu „gesamthaften Kunstschulen“ entwickelt und mit dem Regelschulwesen verschränkt werden sollen (u.a. durch „Schaffung von Rahmenbedingungen in ganztägigen Schulformen“, die „Übungseinheiten und zeitliche Freiräume für den Unterrichtsbesuch in Musikschulen, Konservatorien etc.“ ermöglichen sowie besondere Rücksicht auf „Begabtenförderung, insbesondere Schnittstellen mit Musikschulen, Kunstuniversitäten u.a.“ nehmen sollen). Im Bereich öffentliche Bibliotheken soll ein „Kulturpass für Menschen mit finanziellen Engpässen in Anlehnung an das Konzept ‚Hunger auf Kunst und Kultur‘“ entwickelt werden sowie allgemein Förderprogramme der Kulturvermittlung ausgebaut werden. Was fehlt sind Ansätze, die nicht nur den Zugang zum Kulturkonsum – abseits des Schulsystems und der Nachwuchsförderung – erleichtern, sondern Partizipation, wie sie etwa in soziokulturellen Projekten gelebt wird, für alle fördern und damit das „Publikum“ auch als integralen Teil der Kunst- und Kulturproduktion anerkennen. 

Diversitäts- und Frauenförderung / neue Förderschwerpunkte 

„Gleichstellung und Frauenförderung“ stellen einen expliziten Schwerunkt des Kunst- und Kulturkapitels dar. Wieder kommen sollen speziell für Frauen „Mentoring-Programme in der Kunst“. In der Fördervergabe soll Geschlechtergerechtigkeit umgesetzt werden und die „gleiche Bezahlung von Männern und Frauen für gleiche Arbeit“ wird zur Förderbedingung. Ziel ist die schrittweise Reduzierung des Gender-Pay-Gaps in Kunst- und Kulturorganisationen. Kuratorien von Bundeseinrichtungen (Bundesmuseen) müssen künftig eine 50:50 Quote erfüllen. Auffallend ist, dass diese Vorhaben im Vergleich zu anderen sehr konkret mit klarem Verpflichtungscharakter sind – und nicht durch Formulierungen wie „möglich“ oder ergebnisoffenen Plänen zur „Überprüfung“ oder „weiteren Entwicklung“ vage bleiben.

Neue Förderschwerpunkte sollen „inter- und transdisziplinäre künstlerisch-wissenschaftliche Vorhaben“, „Kunst- und Kulturprojekte im Bereich der anerkannten Volksgruppen“ und „Kunst- und Kulturprojekte im Bereich der Integration“ stärken. Wie diese Förderschwerpunkte sich in der Praxis niederschlagen werden – als neue Förderschienen oder als Schwerpunktsetzungen in bestehenden Förderprogrammen – bleibt offen. Dass die unter Türkis-Blau eingestellte Förderung des Schwerpunkts Kunst und Integration (siehe hier Hintergrundinfo) zurückgenommen wird, ist ein positives Signal. 

Ressortübergreifende Ansätze: Kultur UND… gesellschaftliche Entwicklung

Kultur ist ein Schlüsselressort für eine offene Gesellschaft und wichtiger Player für die demokratische Entwicklung. Gleich einleitend hält das Kunst- und Kulturkapitel dazu die Bekenntnisformel fest „dass künstlerische Positionen einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa Klimawandel oder Integration im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und Problemlösungsstrategien mit zu entwickeln“. Bedauerlich ist, dass sich dieses Bekenntnis bei Lektüre des gesamten Regierungsprogramms nicht widerspiegelt. In den Kapiteln zu „Umwelt- und Naturschutz“ oder „Integration“ findet Kultur keinen Eingang. Dafür spiegeln sich die im Kunst- und Kulturkapitel erarbeiten Vorhaben, etwa zum Bildungsbereich oder Frauenförderung, in den jeweiligen Fachkapiteln wider.

Ferner findet Kultur Eingang im Kapitel zur Auslandskultur (geplant ist ein neues Auslandskulturkonzept) sowie zur Baukultur (Förderung der Baukultur und Umsetzung der baukulturellen Leitlinien). Von großer Relevanz für den Kultursektor könnte, auch ohne das Kultur explizit erwähnt wird, das angekündigt Leerstandsmanagement sein, dass eine „Leerstandserhebung, -datenbank und -aktivierung“ vorsieht.  

Kulturstrategie und kulturpolitischer Dialog 

Schließlich will Türkis-Grün eine Kunst- und Kulturstrategie auf den Weg bringen – ein Vorhaben, dass bereits unter Türkis-Blau Eingang ins Regierungsprogramm fand, in der Praxis jedoch ebenso im Stadium der Ankündigung verblieb, wie der Dialog mit den Interessenvertretungen der Kunst- und Kulturschaffenden (siehe hier zur Dialogverweigerung unter Türkis-Blau). Dazu hält das jetzige Programm explizit fest, dass die Kunst- und Kulturstrategie „in einem strukturierten Verfahren“, „unter Einbeziehung aller Gebietskörperschaften und mit Partizipation der Kulturinitiativen, Künstlerinnen bzw. Künstler sowie Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter“ entwickelt werden soll. Welche inhaltlichen Bereiche diese Strategie abstecken soll, bleibt offen – etwas irritierend mutet jedenfalls an, dass die weiteren Unterpunkte zur Kulturstrategie ausschließlich auf den Schutz und Erhalt des kulturellen Erbes abzielen (und in diesem Zusammenhang auch das Bekenntnis zur UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt nennen, die jedoch nichts mit dem Kulturerbe zu tun hat). Ebenfalls aus dem letzten Regierungsprogramm bekannt ist die Ankündigung eines „regelmäßigen Kultur-Dialog“, um „den Austausch von in Kunst und Kultur Tätigen und deren Interessenvertretungen mit Ministerien und Ländervertreten“ zu beleben. Bleibt zu hoffen, dass dies unter Türkis-Grün gelebte Praxis und nicht leeres Versprechen bleibt.   

Fazit: unter Einbeziehung der Interessenvertretungen können viele dieser Punkte zum Wohle der freien Szene umgesetzt werden. Die Erfahrung bisher war, dass die IGs wenig Gehör fanden, möge der Dialog und die Beteiligung diesmal gelingen. Wir blicken den ersten Schritten dieser Regierung jedenfalls aufmerksam entgegen und bleiben wie gewohnt kritisch am Ball.
 

Das gesamte Regierungsprogramm 2020-2024 findet Ihr hier zum Download.